NEUE Vorarlberger Zeitung 29. Juni 2022
Katharina von Glasenapp


Foto: Freundeskreis Wolfegger Konzerte e. V. 

Uraufführung „Bevor wir schweigen“

Am letzten Wochenende im Juni ist der kleine ober- schwäbische Ort
Wolfegg mit seiner historischen Alten Pfarr, dem prächtigen Rittersaal
im Schloss und der barocken Pfarrkirche St. Katharina mit Musik erfüllt.
Der Vorarlberger Dirigent Manfred Honeck leitet das festliche
Konzertwochenende seit 28 Jahren und die Veranstalter sind glücklich,
dass dies trotz seiner Verpflichtungen beim Pittsburgh Symphony
Orchestra und seiner weltweiten Tätigkeit weiterhin möglich ist.

Nach pandemiebedingtem Ausfall vor zwei Jahren und einem reduzierten
Programm 2021 konnten die Internationalen Wolfegger Konzerte
wieder vor einem begeisterten Publikum stattfinden.

Beeindruckende Darbietung. Für Orchester- und Kirchenkonzert hatte
Honeck die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
(DRP) eingeladen. Der Samstagabend im ausverkauften Rittersaal
des Schlosses war Beethovens drängender und spritzig musizierter
erster Symphonie und seinem Violinkonzert gewidmet.

Hier beeindruckte die erst 19-jährige spanische Geigerin Maria Dueñas
mit einer ungemein reifen, selbstbewussten Interpretation im
Zusammenspiel mit Orchester und Dirigent. Hervorgehoben seien
die eigenen Solokadenzen, der lyrische Atem im Larghetto und
der vielgestaltige Rundtanz im Finale.

Fein phrasiertes Spiel. Eine der beliebtesten Messen Mozarts, die so
genannte „Krönungs-Messe“ KV 317 eröffnete das Kirchenkonzert
am heißen Sonntagnachmittag. Manfred Honeck animierte die DRP
zu einem flexiblen, fein phrasierten Spiel. Die Augsburger
Domsingknaben (Einstudierung Stefan Steinemann) begeisterten
wie bereits einige Male in Wolfegg mit ihrem hellen, beweglichen
Chorklang. Honecks rasche Tempi in Gloria und Credo beflügelten
die rund 50 Knaben und Männerstimmen. Das Soloquartett wurde
von der weichen Sopranstimme von Christina Landshamer überstrahlt.
Die Mezzosopranistin und gebürtige Vorarlbergerin Nina Maria Edelmann,
Tenor Martin Mitterrutzner und der Bariton Paul Armin Edelmann
fügten sich zu einem harmonischen Ensemble.

Zum 32. Mal fanden letztes Wochenende die Internationalen Wolfegger
Konzerte statt, die erneut vom Vorarlberger Dirigenten Manfred Honeck
geleitet wurden. Uraufführung „Bevor wir schweigen“

Abschiedsbriefe. Das Geläut der Glocken und eine lange Stille folgten
der Uraufführung des Oratoriums „Bevor wir schweigen“, in dem der
Leipziger Komponist, Dirigent und Pianist Florian Frannek sieben
letzte Briefe von Gefangenen aus der Zeit des zweiten Weltkriegs zu
einem ebenso erschütternden wie hoffnungsvollen Ganzen verbunden
hat. Frannek, der Mitglied des Thomanerchors Leipzig war und dann
bei Manfred Honeck Dirigieren studiert hat, und der gläubige Dirigent,
der solche Briefe auch immer wieder in seine Aufführungen von
Mozarts Requiem einfließen ließ, treffen sich in diesem Werk auf einer
Ebene des Denkens und des musikalischen Ausdrucks. Bei allem
Grauen, das die Abschiedsbriefe von gläubigen Christen und verfolgten
Juden aus Gefängnissen, Vernichtungslagern und dem Ghetto
schildern, beeindrucken sie in ihrer Glaubenskraft und Hoffnung.
Bläser und Schlagwerk, dazu Streicher und den Chor setzt Florian
Frannek in seinem Oratorium ein. Die Solostimme des Erzählers wechselt
zwischen Sprechen, Sprechgesang, Rezitationston und Singen und
führt in der Höhe durchaus gewollt an die Grenzen: Paul Armin Edelmann
meisterte diese anspruchsvolle Partie auf bewegende Weise.

Spirituelle Musik. Florian Frannek hat die sieben letzten Briefe als
unterschiedliche musikalische Charaktere gefasst. Im
Zusammenwirken von Chor, Orchester, Solist und natürlich Manfred Honeck,
dem diese schon für 2021 geplante Uraufführung ein Herzensanliegen
war, entstand eine ungeheure Sogkraft, die das Publikum zum Abschluss
dieses intensiven Konzertwochenendes hineinzog in eine spirituelle
Musik der besonderen Art


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SCHWÄBISCHE ZEITUNG 28. Juni 2022
Katharina von Glasenapp


Foto: Helmut Voith

Im Sog der Emotionen
Berührende Uraufführung und beschwingter Mozart
im Wolfegger Kirchenkonzert

Solche Musik hat man in der Wolfegger Kirche St. Katharina noch nicht
gehört: Nicht nur, weil Manfred Honeck, der künstlerische Leiter der
Internationalen Wolfegger Konzerte, Mozarts beschwingte „Krönungsmesse“
mit einer Uraufführung kombinierte, sondern weil das neue Werk sowohl
durch seine Aussage als auch in seiner Vertonung unter die Haut ging und
das Publikum tief bewegte. Eine der beliebtesten Messen Mozarts, die
sogenannte „Krönungs-Messe“ KV 317 eröffnete das Konzert. Sie stammt
aus seiner Salzburger Zeit, entstand für das Osterhochamt des Jahres
1779, später brachte Mozart sie bei den Krönungsfeierlichkeiten 1791 in
Prag zur Aufführung: Mit Soloquartett, Chor, Streichern, Oboen,
Trompeten und Pauken ist sie gebührend festlich, gleichzeitig erfüllt sie
die Vorgaben von Fürsterzbischof Colloredo, dem Salzburger Dienstherrn,
nach gebotener Kürze.

Wie schon am Abend zuvor im Rittersaal mit Beethovens erster Sinfonie
und dem Violinkonzert animierte Manfred Honeck die Deutsche Radio
Philharmonie zu einem flexiblen, fein phrasierenden, leuchtenden Spiel.

Die Augsburger Domsingknaben – in der Einstudierung von Stefan
Steinemann – begeisterten wie bereits einige Male in Wolfegg mit ihrem
hellen, beweglichen Chorklang, Honecks rasche Tempi in Gloria und
Credo beflügelten die rund 50 Knaben- und Männerstimmen. Das
Soloquartett wurde von der weichen Sopranstimme von Christina
Landshamer überstrahlt – im Agnus Die schenkt ihr Mozart eine Arie,
die an die der Figaro-Gräfin erinnert. Die Mezzosopranistin
Nina Maria Edelmann, Tenor Martin Mitterrutzner und der Bariton
Paul Armin Edelmann fügten sich zu einem harmonischen
Ensemble, das Mozart vor allem im „Et incarnatus est“, im „Benedictus“
und im „Dona nobis pacem“ einsetzt.

Das Geläut der Glocken und eine lange Stille folgten der Uraufführung
des Oratoriums „Bevor wir schweigen“, in dem der Leipziger
Komponist, Dirigent und Pianist Florian Frannek sieben letzte Briefe
von Gefangenen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu einem
ebenso erschütternden wie hoffnungsvollen Ganzen verbunden hat.
Der Bariton Paul Armin Edelmann, die Augsburger Domsingknaben,
die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
und Dirigent Manfred Honeck verwirklichten das Werk, das Leichtigkeit
und Schwere, Beklemmung und Hoffnung auf erstaunliche Weise
zusammenbringt.

Bei allem Grauen, von dem die Abschiedsbriefe von gläubigen Christen
und verfolgten Juden aus Gefängnissen, Vernichtungslagern und
dem Ghetto erzählen, beeindrucken sie in ihrer Glaubenskraft und
Hoffnung. Bläser und Schlagwerk, das zum Teil auf einer der
Seitenemporen postiert war, dazu Streicher und den Chor setzt Florian
Frannek in seinem Oratorium ein. Die Solostimme des Erzählers
wechselt zwischen Sprechen, Sprechgesang, Rezitationston und Singen,
führt in der Höhe durchaus gewollt an die Grenzen: Paul Armin
Edelmann meistert diese anspruchsvolle Partie auf bewegende Weise,
muss einerseits distanziert berichtend bleiben, andererseits
emotional beteiligt sein, aber jegliches Pathos vermeiden. Florian Frannek
hat die sieben letzten Briefe – man denkt an die sieben letzten
Worte Jesu, die von einigen Komponisten vertont wurden – als
unterschiedliche musikalische Charaktere gefasst. Aus einem Cellosolo
mit zerbrechlich wirkenden Streichern und Bläserfetzen hebt sich
a cappella der Chor mit einem poetischen Text aus dem Brief von Klaus
Bonhoeffer an seine Kinder: Der Text ist mahnend, moralisch,
tröstend, die Stimmen der Buben berührend in ihrer Reinheit, später
mischen sich fratzenhaft wie innere Stimmen dröhnende Männerstimmen dazu.

In den anderen Briefen spiegeln sich Verzweiflung, aber ebenso gläubige
Zuversicht und Hoffnung in der Verbindung des Solisten mit dem
Chor. Oft ist der aufgeteilt in Ober- und Unterstimmen, bringt wie
kommentierend Texte aus dem Hohen Lied oder von Friedrich Nietzsche
oder mündet in einem hymnischen Choral. Komponist Florian Frannek
ist ja selbst im Thomanerchor Leipzig ausgebildet worden und die
Augsburger Domsingknaben berühren in der Reinheit ihres Klangs.

Herausgehoben ist der Brief von Samuel Tytelman aus dem Warschauer
Ghetto, den der Komponist als grimassierenden Totentanz mit
Klezmermusik in einem scheinbar fröhlichen Scherzo-Ton vertont.
Im Zusammenwirken von Chor, Orchester, Solist und natürlich
Manfred Honeck, der sich der Komposition mit tiefer emotionaler
Beteiligung angenommen hat, entsteht eine ungeheure Sogkraft,
die das Publikum zum Abschluss dieses Konzertwochenendes hineinzieht
in eine spirituelle Musik der besonderen Art.

 

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SCHWÄBISCHE ZEITUNG 27. Juni 2022
Dorothee L. Schaefer

Publikum jubelt beim Beethoven-Abend in Wolfegg
Musikalische Glanzleistung mit der erst 19-iährigen Solistin Maria Dueñas


Foto: Helmut Voith

Der Anmarsch vom Wiesenparkplatz zum Schloss in Wolfegg war durch
die Neugestaltung von Rathaus und, neuer Ortsmitte etwas mühsam,
aber das strahlende Wetter und die wunderbare Abendsonne vergoldeten
alles. Glänzend gelaunt und erwartungsvoll strömten das große
Publikum und die gesammelte Prominenz aus der Region in den Rittersaal
zum Konzert mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken
Kaiserslautern, die auf Einladung von Manfred Honeck, Dirigent und
künstlerischer Leiter der Internationalen Wolfegger Konzerte, zwei Tage
in der Region gastierte.

Die drei Konzerte in Wolfegg wurden eingeleitet mit Kammermusik,
Schuberts Zyklus ,,Die schöne Müllerin" von Gitarre begleitet
in der Alten Pfarr, während der zweite Abend ganz Beethoven gewidmet
war. Zur Ersten Symphonie in C-Dur op. 21 nahm das Orchester
in ungewöhnlicher Besetzung Platz: auf der linken Seite drei Kontrabässe,
in der Mitte zwei Celli und die Bratschen, dahinter der doppelte
Bläserchor, rechts außen die Pauke.

Gleich zu Beginn - im ersten Satz Adagio, der zum Allegro con brio wird
- legte Manfred Honeck Wert auf markante Kontraste zwischen
laut und leise, zwischen Dynamik und Ruhe, zwischen Eruption
und Besänftigung. Manches ging da zu Anfang an zarten, wie hingetupft
wirkenden Passagen der Oboen oder Fagotte etwas unter. Dabei
klingt die Erste, 1800 mit großem Erfolg uraufgeführt, in vielerlei Hinsicht
noch von den Vorbildern Haydn und Mozart beeinflusst, gerade auch
in den drei folgenden Sätzen, zu dem ein lebhaftes Menuetto-Allegro
und ein fröhliches finale-Allegro gehört. Diese gerieten dann zu einem
heiteren Zwiegespräch aller Instrumente, das mit langem herzlichem
Applaus, bedacht wurde.

In kleinerer Besetzung von etwas über 30 Musikerinnen und Musikern
formierte sich das Orchester zum Violinkonzert D-Dur op. 6i, dem
einzigen Konzert für Geige von Beethoven, das erst einige Zeit nach
Beethovens Tod durch den Geiger Joseph Joachim großen Anklang
beim Publikum gefunden hatte. Vielleicht auch deswegen, weil keine
halsbrecherische Virtuosität hier verlangt ist, sondern mit vier
Kadenzen eher künstlerische Fantasie und Improvisationstalent. Viele
Geiger und Komponisten haben sich an diesen versucht und eigene
geschrieben, die bekanntesten und beliebtesten stammen von Fritz
Kreisler. Die erst 19-iährige Maria Dueñas; die in Granada geboren
wurde und 2021 den Menuhin-Wettbewerb gewonnen hat, hat
hier wohl zwei eigene gespielt? Zuzutrauen ist es ihr, denn die junge
Künstlerin komponiert auch.

Ihre Erscheinung in einem weißen Tüllkleid mit Corsagenteil, das
hüftlange Haar zum Pferdeschwanz gebunden, ist umwerfend
und zugleich unprätentiös. Konzentriert die kerzengerade und doch
gelöste Haltung, die Bewegungen immer sinnerfüllt. So steht sie
erst einmal während der langen Orchesterpassage wie in einem
Gemälde still, und man fragt sich kurz, ob diese zierliche Person
imstande sein wird, gleich die musikalische Hauptpartie zu
übernehmen. Aber genau das geschieht, eine nie untergehende
Hauptstimme, der sich das Orchester aufs Schönste anschmiegt.

In den Kadenzen beweist sie eine seltene Souveränität, in der
musikalischen Ausarbeitung eine Tiefe, die ihre Geige mal wie eine
Bratsche oder dunkel wie ein Cello raunen oder wie am seidenen
Faden hängend und irisierend hell klingen lässt. Dennoch war hier
nichts forciert, es blieb immer wunderbarer Beethoven. Nach
dieser Dreiviertelstunde musikalischen Glücks gab es kein Halten
mehr - Riesenjubel im Saal, alle standen auf. Auf diese langen
Ovationen musste noch eine Zugabe kommen: eine eigene
Violinversion der ,,Spanischen Romanze“ für Gitarre, Komponist
unbekannt, die unter Dueñas Zauberbogen zu einer virtuos
flirrenden musikalischen Andeutung und Reminiszenz wurde.
Und noch mal Jubel.

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